Saskia-kommt
Saskia kommt!
von Thomas Pfanner
Gleich wird sie es wieder sagen. In dieser Hinsicht bin ich Hellseher. Ich sehe es ihr an, sie strahlt es mit jeder Faser aus, ihre Körperhaltung, die unruhigen Augen, die ganz sachte zuckenden Mundwinkel. Sie ist gerade erst zur Tür hineingekommen, befindet sich keine zehn Sekunden in den heiligen Hallen unserer Wohnung, für mich ist in einer Sekunde alles geklärt.
Ich wußte es ja auch schon vorher. Ich kann die Uhr danach stellen, in gewisser Weise. Zwar kommt sie nie pünktlich, aber wenn sie kommt, dann auf eben diese Weise. Gerade blitzen ihre Blicke in jede Ecke des Wohnzimmers, scannen alle Einzelheiten, verarbeiten die Resultate in Lichtgeschwindigkeit und das Ergebnis macht sie nicht froh.
Auch das wußte ich bereits heute Morgen. Es war noch nie anders. Die nächste Stufe in diesem wöchentlich wiederkehrenden Drama wird gezündet. Sie sieht auf, mir direkt ins Gesicht. Diesen Augenblick hasse ich ganz besonders, wenn dieser zwischen traurig und enttäuscht changierende Blick auf mich fällt, ziemlich genau zwei Sekunden lang.
Dieser Blick enthält einen Datenstrom, dessen Umfang kein DSL-Anschluß bewältigen würde. Sie transportiert in die-sen nur zwei Sekunden alles Leid und alle Enttäuschungen, die sich in zweiundzwanzig Jahren Ehe angehäuft haben, inklusive aller jemals darüber geführten Gespräche, Streitereien und Therapie-Sitzungen. Selbstverständlich beschränkt sich der Datenstrom allein auf ihre Gefühlswelt, meine Sicht der Dinge galt schon immer als weniger wichtig. Die Übertragung ist abgeschlossen, es ist Zeit, die magischen Worte zu sprechen.
»Denkst du daran, dass Saskia morgen kommt?«
Wie sie das sagt. Die erwartete Enttäuschung schwingt in einer Stärke mit, vor der jeder chinesische Kaiser-Gong verblasst. Während die Blicke vor Informationen schier überlaufen, beschränken sich die gesprochen Worte auf das unbedingt Nötige.
Natürlich denke ich daran, dass Saskia kommt, ich denke an nichts anderes als an diese blonde Wuchtbrumme mit dem Sauberkeitswahn der zu heiß gebadeten Ich-will-nur-weisse-Möbel-Neurotiker. Wenn es dabei bliebe, schön. Zu meinem Unglück beliebt meine allerholdeste Angetraute mit dem an sich harmlosen Spruch aber etwas viel Weitergehendes auszudrücken.
Sie will, dass ich aufräume. Darüber kann ich nicht mehr lachen, obgleich es der absolute Brüller ist: Ich soll aufräumen, damit die Putzfrau morgen auch ja gut aufräumen kann. Seit Anbeginn dieser Konstellation grüble ich darüber nach, weshalb in drei Teufels Namen eine Putzfrau vonnöten ist, wenn man bereits vor ihrem gnadenreichen Erscheinen alles tiptop aufzuräumen hat. Zwanzig Silberlinge für die mürrische Jagd nach den letzten Flusen. Im Grunde kenne ich die Antwort ebenso gut wie die Lehre, die aus der grässlichen Situation zu ziehen wäre. Beschäftige niemals ein pedantisches, Schmutz als Erbsünde betrachtendes Luder als Putzfrau. Eine Braut, die dem Beischlaf mit wechselnden Partnern stets in wechselnden Wohnungen nachgeht, niemals jedoch in ihrer eigenen. Sie hasst es, die Spuren männlicher Anwesenheit beseitigen zu müssen.
Zehn Minuten Sex mit anschließenden vierzig Minuten Ganzkörperhygiene sind ihr gerade noch zuzumuten, drei Stunden männliche Schamhaare suchen, finden und vernichten, dagegen eher nicht. Und so eine schafft meine persönliche Heilige ins Haus. Klar, ich bin der Mann, also habe ich mich in Luft aufzulösen und morgen in den Stunden der rituellen Reinigung unserer Wohnung durch Abwesenheit zu glänzen.
Das allein macht mir auch gar nichts aus, im Gegenteil. Mein Leben gestaltet sich auch ohne die Begegnung mit der Fleisch gewordenen Ursache für all die Putzmittel dieser Welt durchaus angenehm. Genau genommen wäre mein Leben perfekt, würden mir nicht ständig andere Menschen eben dieses zur Hölle machen. An erster Stelle wäre da meine so genannte Ehefrau zu nennen.
In Augenblicken seltener Klarheit überkommt mich der Gedanke, es wäre besser gewesen, meine Mutter zu heiraten. Die hat mich auch immer so angesehen, aber wenigstens brauchte ich da meine Räumlichkeiten nicht in einen Status zu versetzen, der wegen seiner Staubfreiheit die Produktion von Computerchips ermöglicht. Ach natürlich, die Frau an meiner Seite, die immer recht hat, leidet unter einer Stauballergie. War ja klar. Weniger klar scheint mir an dem Ganzen, wieso es trotz meiner Bemühungen noch einer Putzfrau bedarf. Ach, ich Dummer. Meine Bemühungen sind in den Augen meiner ungarischen Honig-Hexe nicht ausreichend, niemals, zu keinem Zeitpunkt und nicht einmal ansatzweise. Ich bin ein Mann, für den sauber sauber ist, wenn es sauber ist, und Punkt. Die ungnädige Herrscherin, zu deren Füßen ich mein elendes Leben friste, ist mit den Ergebnissen meiner Bemühungen niemals zufrieden, seit Anbeginn aller Tage hat sie was zu nörgeln.
Deshalb einigten wir uns auch vor einem Jahr auf die Beauftragung einer Putzfrau, des lieben Friedens willen.
Eigentlich.
Von ganz tief unten steigt der Ärger auf. Jeden Dienstag derselbe Ärger, jede Woche ein Stück stärker. Ich bemerke, wie sie mich ansieht. Sie erwartet eine Antwort, wie immer. Fehlt nur noch das nervöse tappen mit der Fußspitze, dann wäre es gerade so wie im Film. Nun gut, ich will ihr den Gefallen tun.
»Ja.«
Ihr Gesichtsausdruck verändert sich nicht. Gut, ich habe die Antwort zwischen den Zähnen herausgeknirscht, an der Grenze zur Unhörbarkeit und mit aller Verachtung, deren ich fähig bin. Es reicht ihr nicht. Sie möchte nicht nur Zustimmung, sie möchte nicht nur einsichtige Zustimmung, nein, sie möchte freudige Zustimmung.
Freudig.
Vor tausend Jahren hat sie einen mürrischen Eigenbrödler geheiratet und seitdem zerfielen Staaten und Konzerne, zwei Golfkriege trampelten durchs Bild und viermal wechselte ich die Arbeitsstelle, aber in all der Zeit gab sie nie den Versuch auf, mich in einen freudig erregten Gefolgsmann ihrer Vorstellungen von Sauberkeit zu sublimieren. Frauen! Um wie viel einfacher wäre es gewesen, sich gleich einen Lover aufs Bett zu ziehen, der in allen wirklich für Frauen wichtigen Punkten dem Lastenheft entspricht, anstatt so eine Figur wie mich, die erst noch „zivilisiert“ werden muss, wie sie manchmal nicht vergisst zu erwähnen.
Zu einfach. Nein, mein stachliger Schmusetiger fährt ja auch nicht direkt von Varel nach Dangast, viel schöner ist es, zuerst durch Zetel zu fahren. Das ist zwar so tot wie Hermann der Cherusker, aber der Weg dahin schön weit. Viel Zeit für erzieherische Maßnahmen.
Sie wartet immer noch auf das Aufkeimen meiner devoten Begeisterung. Vermutlich ist mein Gesicht bereits von roten Flecken übersät, was der gnädigen Herrin zusätzliche Motivation beschert:
»Felix, du zwingst mich, es schon wieder zu sagen. Das alles hat doch keinen Sinn, wenn wir uns nicht beide anstrengen. Du musst auch deinen Teil an der Arbeit leisten, die im Haushalt anfällt. Das solltest du wirklich langsam einsehen, sonst weiß ich nicht, wie es weitergehen soll.«
Ich hätte da den einen oder anderen Vorschlag. Nichts, was meine Holdeste wirklich lustig finden würde. Geht ja auch gar nicht. Nun gut, ich kann mich damit abfinden, dass sie den Sex als Arbeit und letztendlich als Serviceleistung am Ehemann betrachtet und mir seit dem Tage der Eheschließung täglich eine unmittelbare Vorstellung von der Servicewüste Deutschland vermittelt. Die Erwähnung dieses speziellen Details führt zu einem kalten Schweißausbruch. Ich erinnere mich noch zu gut an meinen letzten Annäherungsversuch. Wir gingen vom Krankenhaus über die Straße und benutzten dann den kleinen Fußweg hinter dem Pfarramt. Dort wollte ich mal nach einer Pause von drei Wochen über einen Zeitraum küssen und unsittlich anfassen, der länger dauert als meine Bittermandelschnecke „nein, danke“ sagen kann. Sie sagte es natürlich trotzdem, ergänzt mit dem Hinweis, uns könnte ja jemand sehen.
Um ein Uhr Morgens. Am Pfarramt. Ich schlug ihr, nein, nicht den Schädel ein, sondern vor, die Ausfallstraße zur Autobahn zu nehmen, uns auf halbem Wege in Büsche zu schlagen und dann... Nein, das geht nicht, da könnte ja ein Jäger durch sein Zielfernrohr... Aber mitten in der Nacht aufstehen und ein Schaufenster ansehen, wegen der Sonderangebote, die gleich am nächsten Tage bei Öffnung des Ladens zum Sturm herausforderten. Im Augenblick jedoch konzentriere ich mich auf den Sturm in diesem Wohnzimmer.
»Ich warte. Ein Zeichen deines guten Willens wird es schon brauchen, um die Situation zu entspannen.«
Welche Situation? Welche Entspannung? Meine persönliche Domina feuert ihre todbringenden Blicke zu mir herüber, als ob der Antichrist vor ihr stünde. In gewisser Weise stimmt das ja auch, aber in Situationen wie diesen wünsche ich mir die Kirche des Mittelalters herbei. Ratzfatz einen Stoß altes Holz aus dem Wald beschafft, einen Pfahl hineingerammt, ein paar formschöne Fesseln aus dem H & M-Laden und schon geht die Sonne auf.
Das Telefon klingelt, der Krieg macht Pause. Ich habe einige Mühe, den Zorn zu unterdrücken und meine Ohren wieder besser durchbluten zu lassen. Hätte ich das nur mal nicht so flott gemacht.
»Holsten.«
Meine schizoide Gefährtin trällert mit ungewohnt heller Stimme frohlockend in den Hörer. Das fasse ich nicht. Eben noch, vor einer Sekunde bereit zum finalen Atomschlag, im nächsten Moment säuselt sie frohgemut frohlockend einen unbekannten Anrufer an, dass jede Erotik-Hotline einen Spitzenlohn aufrufen würde.
Nicht ganz uninteressiert betrachte ich einige vorwitzige Staubkörnchen, die durch den hellen Sonnenstrahl schweben. Warum bewegen die sich eigentlich so ganz anders als die kleinen roten Flecken, die in meiner stieren Blickrichtung herumtanzen wie aufgezogene Jojos. Es wird nicht besser, soviel wird mir klar, als das Gespräch fortgesetzt wird. Offenbar handelt es sich um ihre Freundin aus Dangast, die mit dem Reiterhof direkt hinter dem Deich.
Eine ganz patente Frau, schade, dass sie anruft und sich umfassend belabern lässt. Das wird jetzt ganz lange dauern. Durch einen leichten Grauschleier betrachte ich die schlanke Frau, für deren Hintern ich einst meilenweit lief.
Es ist die andere Frau, die gelöste, heitere, lachende, Witze machende, intelligente Frau, die nun den Eindruck vermittelt, nie im Leben auch nur einen finsteren Gedanken fassen zu können. Ich weiß es besser.
Wir Männer aus dem Widerstand kennen den Feind so gut wie sonst niemand. Statt Frauenhäusern planen wir Männerhäuser. Eines werde ich irgendwann mal bauen, für mich und meine Leidensgenossen. So ein Ding, zu dem die Frauen abschätzig „Burg“ sagen, hohe Mauern ringsum mit einer vorstehenden Nase, die wir Männer in heiteren Runden „Abtritt“ nennen, weil man dort zehn Meter tief auf seine Feinde herabpinkeln kann.
Ganz wichtig sind die Gewölbe, die Geräte darin und die Gewissheit, den nächsten Nachbar ganz bestimmt außerhalb der Strecke zu wissen, die einen gellenden Schrei aus einer Frauenkehle zu überbrücken im Stande ist. Grundgütiger! Das Waschweib trällert immer noch ganz entspannt in die Hörmuschel. Nachher braucht es wieder eine Schaufel, um all den Schleim aus der Ecke zu baggern. Wird natürlich an mir hängen bleiben. Wozu heiratet man denn? Bestimmt nicht, um sich tot zu lachen.
Da verziehe ich mich lieber auf die Toilette. Ich bin da anders als die anderen Männer. Selbstverständlich sitze ich eine halbe Stunde auf dem einzigen mir in dieser Ehe zustehenden Thron. Ich lese aber weder Auto- noch Fußballzeitschriften, ich lese eine Fahrradzeitschrift. Bislang diente mir das Rad fahren als Ausgleich, drei Stunden mit mir allein und das allgemeine Gleichgewicht ist wieder hergestellt. Zu meinem Unglück komme ich schlecht aus den Klickpedalen heraus, so dass vor zwei Wochen der halbjährliche Überschlag fällig war, mit Fahr-rad an den Füßen. Diesmal genügte eine kleine Unsauberkeit bei der Ausführung und nun ist das Rad hin.
»Du brauchst dich gar nicht zu verstecken. Ich finde dich doch. Wir müssen reden.«
Vor Schreck schmeiße ich die Zeitschrift an die Decke. Verflucht, kennt diese vollbusige Bestie denn gar keinen Anstand? Und wieso müssen wir reden? Vorhin mussten wir noch aufräumen, also ich zumindest. Ich blicke nach schräg oben und sehe Zorn in der unerträglichsten Version, den waidwunden Zorn. Die Guteste geriert sich als armes Opfer, dem jedes von Gott und den Wechseljahren gegebenes Recht zusteht, sauer zu sein.
Da will ich nicht hintan stehen. Auch in mir verstärkt sich das brodeln. Zum Aufstehen reicht es noch nicht. Ohne hinzusehen, greife ich die heruntersausende Zeitschrift aus der Luft und knurre wie ein Löwe:
»Ich bringe deine verdammte Wohnung in Ordnung, aber lass mich jetzt hier in Ruhe. Telefoniere doch mit deinem Rudel Freundinnen. Ich kann es eh nicht ertragen, wenn du bei sieben aufeinander folgenden Telefonaten die gleiche Geschichte erzählst.«
Ich glaube, Freunde werden wir nicht mehr. Das Pamperle stemmt die Fäuste in die Hüften und lässt ein wenig Überdruck ab:
»Meine Freundinnen hören auch zu, meine Freundinnen sind nicht so arrogant, impertinent und schwerhörig, meine Freundinnen interessieren sich für meine Gefühle.«
Ich interessiere mich auch für deine Gefühle, mein lieber Schneckenfurz, denke ich unfroh, nur nicht für die finsteren und bösartigen, die du exklusiv für mich bereithältst. Stattdessen versuche ich es mit den mir möglichen diplomatischen Mitteln:
»Ich weiß gar nicht, was du hast. Ich tue ja das Verlangte. Was kann ich dafür, wenn ich nur bei einer einzigen Sache einen Orgasmus kriege? Beim schlichten Service bin ich eben ein klein wenig miesepetrig.«
Sie wird ein bisschen blaß, die nächste Stufe des Zorns. Mein Versuch war also ein Flop. Das macht mich jetzt auch sauer.
»Genau so funktioniert deine kleine, primitive Welt. Aber lass dir gesagt sein, ich denke da nicht anders. Deshalb hatte ich auch noch nie einen Orgasmus. Ist alles nur Service, wie du richtig bemerkst. Mit ordentlichem Aufräumen wird es einem jedenfalls nicht gedankt. Da wirst du sicher verstehen, wenn mit Sex ab sofort Schluss ist. Bevor nicht ordentlich aufgeräumt wird, habe ich da keine Lust mehr drauf. Ordentlich aufgeräumt von einem Mann, der einsichtig ist und mir nicht wegen der paar Arbeitstunden den Tag versaut.«
Irgendwie kommt gerade die Decke näher, alles wird so geduckt, der Flur hinter dieser Person wird schmal und länglich. Ich kann mich beobachten, wie ich vom Topf aufspringe, mit einer Hand die Hose hochziehe, mit der anderen dieses fremde Wesen beiseite schiebe. Es drängt mich zur Küche, dort angekommen sehe ich mir zu, wie ich die paar Teller vom Tisch nehme und mit sehr viel Kraft an die Wand werfe. Mann, muss ich wütend sein.
Da, ein längliches Gesicht schiebt sich in meinen, unseren Gesichtskreis. Zähne fletschen, eine ungewohnt tiefe Stimme sagt:
»Mach das nur noch mal. Schmeiß alles weg, ist mir egal. Du wirst aufräumen. Und danach reden wir über unsere Zukunft.«
Zukunft? Das kleine Luder will mir drohen? Ich kenne dich, du Taktikhexe, du willst so lange mit mir „reden“, bis ich deiner Meinung bin. Und dann noch mit diesen unglaublich verdrehten Argumenten, gegen die kein Einwand geduldet wird. Die Luft bleibt weg, zwar stehe ich immer noch teilnahmslos neben mir, trotzdem fühle ich die grausige Enge. Die will mich fertig machen, heute will sie mich endgültig fertig machen.
Plötzlich ist diese Lammkeule in meiner Hand, ein schönes, großes und beeindruckend schweres Ding. Ich hole aus, da lacht die Frau. Sie lacht, fast hysterisch, verschränkt die Arme vor der Brust und prustet mich an:
»Was, du willst mich schlagen? Versuche es doch, mein Kleiner. Schon damals hat die Vermittlerin gesagt, du wärest ein sanftes Lamm, unfähig, einer Fliege etwas zu leide zu tun. Komm, wirf die Keule hinter dich, da steht auch der Eimer und das Putzzeug.«
Irgendwo in meinem Kopf macht es „Pling“. Ich bin wieder in mir drin, nun sehe ich nichts mehr. Nur rot. Erstaunlich, wie leicht und doch so schnell die Lammkeule an meiner Schulter vorbeisaust. Und wieder zurück. Und wieder hin. Jetzt muss ich mich bücken, die Keule orgelt hin und her, ich höre tatsächlich den Luftzug. Etwas fliegt noch an mir vorbei. Ein Weisheitszahn? Vier Wurzeln. Egal, nun sitze ich und die Keule macht die Arbeit.
Gute, ehrliche Arbeit, sorgfältig und akurat, es hört erst auf, als wirklich alles erledigt ist.
Prüfend betrachte ich die Keule. Kaum noch Fleisch dran, selbst der Knochen ist geborsten. Ich lasse ihn los, zwinkere den großen Augen zu, die mich vom Boden her immer noch verlachen.
»Du warst viel zu teuer, muss ich dir sagen. Die Vermittlerin hat dich aus dem staubigen Hinterzimmer im Tiefkeller des ältesten Archivs geholt. Drei Kerle haben dich innerhalb der Garantiezeit zurückgegeben und ich von der Welt verlassener Blödmann habe mir nichts dabei gedacht. Schön und klug und völlig bescheuert bist du. Und ich alter, geiler, weichherziger Esel habe es zweiundzwanzig Jahre lang mit dir und deinem diktatorischen Anspruch ausgehalten. Was für ein Irrtum.«
Ich stehe schwankend auf, die fürchterliche Wut ist zerplatzt wie der Schädel einer mir vor kurzem noch nahe stehenden Frau.
Gedankenverloren ziehe ich mir mein Radtrikot an. Gerade ist ein Fahrrad frei geworden, kein besonders gutes, aber es wird schon gehen. Ich gehe leicht schwankend zur Tür, sehe mich ein letztes Mal um. Hier bin ich nicht mehr zu Hause. Viel zu dreckig. Auf dem Weg nach draußen kicke ich ärgerlich die Katze beiseite. Wieso eigentlich beschwert sich niemand über dieses haarige Vieh? Überall liegen die Flusen herum, der Teppich ist voll davon. Nun, jetzt läuft hier niemand mehr durchs Bild, den das stören würde. Draußen betrachte ich wohlwollend die nähere Umgebung, die netten Häuser, die sich quasi im Rücken des St.Johannes-Hospitals aufreihen, die netten Leute, die mich grüßen und sich nach meiner Frau erkundigen. Gut, wirklich gut, antworte ich, sie ist ganz ruhig und gelassen, hat keine Schmerzen. Das stößt zwar auf eine milde Form der Ratlosigkeit, aber was soll es.
Niemand versteht meine Frau so gut wie ich und das nicht nur, weil ich ungarisch kann. Doch jetzt interessiert mich für die nächste Zeit nur noch mein hauptsächliches Bedürfnis. Es lag so lange verschüttet unter den Ruinen meiner Ehe.
Freiheit! Ich atme tief durch, leckere, leicht salzige Luft, ohne Parfüm, ohne Reinigungsmittel. Jadebusen pur. Ich werde eine Runde drehen, vielleicht die letzte, bevor lieber Besuch kommt.
Ich freue mich schon auf meine Einzelzelle. Endlich werde ich allein sein. Endlich keine Zombies mehr, keine Untoten, keine Bekloppten, keine Frauen vor allem, keine Sauberkeitsfanatiker, kein gar nichts. Endlich frei sein. Schön.
mit freundlicher Genehmigung von Thomas Pfanner
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